GEMALTE ZEIT

Der Begriff der Zeit wird lange schon mit der Monochromie in Verbindung gebracht, besonders der Begriff der Zeitlosigkeit. Die Fähigkeit des monochromen Bildes, den Betrachter mir dem Eindruck von nicht veränderbarer Farbe zu überwältigen, wurde in diesem Jahrhundert von zahlreichen Künstlern benutzt, um ein Gefühl von Transzendenz und Unendlichkeit jenseits der Grenzen der materiellen Welt zu erwecken. Ganz besonders die monochromen Arbeiten von Kasimir Malewitch, Mark Rothko und Yves Klein, um nur einige zu nennen. Jedoch die Monochromie wurde auch in anderer Hinsicht wahrgenommen, nämlich gerade ihre ontologischen und materiellen Qualitäten, und in erster Linie ihre Eigenschaften als dreidimensionales Objekt. Als Ergebnis dieser zwei miteinander im Konflikt liegenden Wahrnehmungen, war die Monochromie ein umstrittener und problematischer Dorn in der Malerei seit der Entwicklung im frühen20. Jahrhundert. Jeff Wall hat einmal geschrieben, dass die Erfindung des monochromen Bildes den ontologischen Status jeglicher Malerei verändert hätte, sogar von Malerei vor der Monochromie. Er glaubte, dass nach ihrer Erfindung jegliche Malerei angesehen werden muss ãals Aktetwas auf eine monochrome Grundfläche zu setzen, dabei diese auslšschend, vervollständigend oder verändernd”.. In diesem Zusammenhang gesehen wird die entscheidende Bedeutung des Monochromen für die Malerei deutlich, aber ironischerweise wurde die Bedeutung der frühen Monochromie für die Entwicklung der Kunst des 20 Jahrhunderts niemals všllig anerkannt, das heisst, bis in die 60ger Jahr hinein als die Hegemonie von Clement Greenbergs formalistischen Modernismus zu bršckeln begann. Es waren die Minimalisten, die eine auf den Vorrang der visuellen Wahrnehmung gründende Ästhetik durch eine Ästhetik basierend auf der phänomenologischen Wahrnehmung des Kunstwerks ablšsten. Gleichzeitig wurde die Monochromie nicht nur als Bild gesehen und erfahren, sondern auch als Skulptur, oder genauer als Objekt. In der Arbeit von Robert Ryman und Frank Stella bekam die Malerei eine andere ontologische Bedeutung -ihre Malerei wurde nicht länger auf der rein visuellen Ebene betrachtet, sondern phänomenologisch vom Standpunkt der Dreidimensionalität aus und dabei wurde jedes Detail ihrer Materielität in die Betrachtung einbezogen: Der Träger, auf dem die Farbe aufgetragen war, die Dicke der Farbe, wie auch die Bedingungen, unter denen die Arbeit ãgerahmt” war, das heisst die Bedingungen des Ausstellungsraums. Denn die Minimalisten suchten eine Ästhetik zu erringen, die die unmittelbare Umgebung des Kunstwerks miteinbezog: Sie wollten im Betrachter das Bewußtsein dafür erwecken. In diesem Zusammenhang kann Jus Juchtmans Werk am besten gesehen werden, obwohl grundsätzlich zu hinterfragen ist, ob seine Bilder als monochrom bezeichnet werden kšnnen, es hängt davon ab, wie streng an den Begriff fasst, gibt es dennoch keinen Zweifel darüber, dass die Monochromie – oder eine Beziehung dazu im Werk offensichtlich ist. Es ist eine Beziehung zu ihrer visuellen Ästhetik, in einer Weise, in der die Zeit eine wichtige Rolle spielt. Jedoch nicht in der romantischen Auffassung als Ausdruck von Transzendenz und Zeitlosigkeit. Im Gegenteil: Juchtmans Interesse am Begriff Zeit unterstreicht gerade die Zeitlichkeit in der ästhetischen Wahrnehmung von Kunst.

Eines der auffallendsten Elemente in seiner Malerei sind die hochreflektierenden, glänzenden Oberflächen, hervorgerufen durch eine spezielle Maltechnik. Die Oberflächen verweigern sich fast der Betrachtung, fast unweigerlich spiegelt sich beim Anschauen der Bilder der Betrachterselbst in ihnen, eine irritierende Erfahrung. Das natürliche Verhalten in dieser Situation ist, dass man seinen Standort verändert und sich einen Punkt sucht, von dem aus des Bild besser zu betrachten ist. Jedoch wird einem gleichzeitig langsam klar, dass die Spiegelung der eigenen Person, wie auch des Ausstellungsraums Bestandteil der Arbeit ist und im Konzept von Juchtmans liegen muss. Wie die Minimalisten mšchte er, dass der Betrachter sich der Umgebung des Bildes bewusst wird, ganz besonders der flüchtigen, zeitbedingten Momente. In der Beschäftigung mit dem Bild wird es offensichtlich, dass jeder Augenblick des Betrachtens ein anderer und einzigartiger ist, abhängig von vielen Faktoren: Der Tageszeit, der Art der Beleuchtung des Ausstellungsraums, von den anderen Betrachtern im Raum, u.s.w., es wird offensichtlich, dass die Wahrnehmung des Bildes abhängig ist von den Bedingungen, die diesen bestimmten Moment in der Zeit ausmachen. Denn auch Juchtmans Bilder sind Konstruktionen, besonders seineãTrashworks”, die ein wichtiger Bestandteil seiner Ausstellungen sind und aus Plastikbehältern ent-stehen, die er zum Anrühren der Farben benutzt. Die ãTrashworks” sind die Palette des Malers oder dem Werkzeug des Bildhauers vergleichbar und es ist ungewšhnlich, dass sie zusammen mit dem ãfertigen” Werk ausgestellt werden. Und indem er ihnen den Satus eines fertigen Werkes gibt, demystifiziert Juchtmans diesen Status und hebt sie als materielle Konstruktionen heraus, wie auch ihre Wahrnehmung durch den Betrachter sich zusammensetzt aus der Betrachtung und der momentanen Situation im Ausstellungsraum: Auch die Wahrnehmung ist niemals fertig. Das Bewußtmachen, wie zeitabhängig Kunstbetrachtung ist, schliesst nicht nur seine Arbeit ein: Juchtmans führt dem Betrachter die Bedingungen des Betrachtens vor Augen und fordert ihn auf diese Erkenntnis auf die Natur des Betrachtens an sich zu erstrecken.

Noch auf eine andere Weise bewirken die Bilder von Juchtmans, dass der Betrachter Zeit wahrnimmt. Obwohl die Beschaffenheit der Oberflächen, das Betrachten der Bilder erschwert, belohnen die Bilder ironischerweise den Betrachter für die Dauer der Zeit, die er ihnen gewidmet hat. Nachdem man – zuerst konsterniert darüber, dass man sich selbst im Bild spiegelt – es dann akzeptiert hat und sich Standpunkte sucht, von dem aus das Bild anzusehen ist, wird man gewahr dass die Bilder eigentlich nicht monochrom sind.. Plštzlich treten noch andere Farben unter der einfarbigen Oberfläche hervor und werden langsam sichtbar: Ein bezauberndes und faszinierendes Seherlebnis.

Juchtmans verwendet eine von ihm selbst hergestellte fast durchsichtige Farbe und trägt sie in vielen Schichten auf die Leinwand auf. In einigen Arbeiten liegen 30 Schichten verschiedener Farben übereinander, sie alle bestimmen die endgültige Farbigkeit des Bildes, die in Juchtmans subjektiver Entscheidung liegt. Je länger man das Bild betrachtet, umso mehr vermischen sich die darunterliegenden Farben zart mit der obersten Farbschicht und kommen zum Vorschein. Aufgrund dieser besonderen Technik gleicht kein Bild dem anderen, ihr Aussehen ist immer abhängig vom Aufbau der verschiedenen Farbschichten. Nur durch genaues Betrachten kšnnen die Bilder erst richtig gesehen werden: Auch hier spielt Zeit eine wichtige Rolle und wir denken an die schwarzen Bilder Ad Reinhardts aus den 60ger Jahren, deren Formen und Farbigkeit erst nach langem, geduldigem Hinschauen erkennbar werden.

Wir haben gesehen, dass Juchtmans den Begriff Zeit in sein Werk einführt als Bedingung des Bildes an sich und als Element des Betrachtens. Zusätzlich zur Wahrnehmung der verschiedenen Farbschichten auf der Oberfläche des Bildes, kann man diese Schichten an den Farbtropfen ablesen, die sich an der Seite auf der Leinwand gebildet haben. Die Bildseite wird damit auch ein Dokument der Entstehungszeit, denn eine Farbschicht kann nur dann auf die andere aufgetragen werden, wenn die untere trocken ist und die Trockenzeit ist jeweils abhängig von den klimatischen Bedingungen im Studio des Malers: Jedes Bild hat nicht nur seine eigene Zusammensetzung von Farbschichten, sondern auch seinen eigenen Zeitablauf, in dem es entstanden ist. Dies Einbeziehen des Zeit in die Malerei auf der Seite des Betrachters, wie auch auf der Seite des Malers fordert das modernistische Konzept der Kunstbetrachtung heraus, das Zeitlichkeit niemals einbezog und sogar als irrelevant verwarf. Der modernistische Kritiker Michael Fried schrieb, dass ãdas literarische Interesse an der Zeit – oder genauer an der Dauer der Erfahrung -ist, mšchte ich sagen, beispielhaft theatralisch”. Greenberg folgend hielt er an einer streng formalistischen Einstellung gegenüber der bildenden Kunst fest, Minimal Art wegen der Einbeziehung von Raum und Zeit, der Umgebung des Kunstwerks, ablehnend mit dem Argument, dass diese Begriffe eher zum Bereich des Theaters als dem der Skulptur und Malerei gehšren. Vor den Minimalisten wurde immer vorausgesetzt, dass sich das Betrachten eines Kunstwerks in der Zeitlosigkeit abspiele, es wurde nicht bedacht, dass sowohl das Machen, wie auch das Betrachten des Kunstwerks Zeit benštigt. Juchtmans hebt diese beiden Aspekte der Zeitlichkeit in seiner Arbeit hervor und würdigt damit die Bedeutung der Zeit für die ästhetische Erfahrung eines Kunstwerks: Nicht nur die Zeit als bestimmter Moment, in der das Werk gesehen wird, sondern auch die vergangene Zeit, die Erinnerungen und Erfahrungen des Betrachters spielen eine Rolle. Es kann vorkommen, dass Dinge wieder in sein Gedächtnis gerufen werden, von denen er nichts mehr wusste. Walter Benjamin nennt dies (nach Proust) ãmŽmoire involuntaire”, ungewollte Erinnerung. Jedes Kunstwerk, ob gewollt oder ungewollt, lšst notwendig im Betrachter Erinnerungen an vergangene Gedanken und Erfahrungen aus und trägt ihn damit über die Dreidimensionalität hinaus. Es ist eine Zeitreise zurück in die Welt vergangener Erfahrungen ausgelšst durch die gegenwärtige Betrachtung des Kunstwerks. Und die Erinnerung zusammen mit der momentanen sinnlichen Wahrnehmung des Kunstwerks konstituiert die ganze Erfahrung des Bildes.

Juchtmans Malerei lenkt die Aufmerksamkeit auf das Visuelle. Sie ist visuell hoch ästhetisch und in die Ästhetik einbezogen ist der Begriff der Zeit und das Bewusstsein, wie die Ästhetik konstituiert wird. Konzeptkünstler haben in den späten 60ger Jahren versucht, in Anlehnung an die Minimalisten, Ästhetik aus der Kunst auszuschliessen. Sie haben ausserdem versucht, damit über die Minimalisten hinausgehend, die ästhetische Erfahrung als etwas in den Dingen Enthaltenes anzusehen. Am Ende haben sie Kunst von den Qualitäten gelšst, die sonst mir ihr verbunden waren, wie die visuelle und sinnliche Erfahrung.. Viele Konzeptualisten verfolgten eine Strategieder ãEntmaterialisierung” und reduzierten Kunst auf das reine Konzept. Dies wurde in der Nachfolge als das unhaltbare Zeugnis einer unrealistischen Objektivierung und Deästhetizierung von Kunst angesehen. Bei Juchtmans hingegen ist ein Festhalten an visueller Ästhetik offensichtlich: Eine visuelle Ästhetik, die eigentlich erst durch die Zeit konstituiert wird. Er macht den Betrachter darauf aufmerksam, dass Betrachten zeitabhängig ist, dass die visuelle Wahrnehmung, die Umgebung des Kunstwerks und die Gedanken und Erinnerungen, die durch das Kunstwerk im Betrachter ausgelšst werden, dass dies alles zusammen die visuelle ästhetische Erfahrung ausmacht.

Auch im konventionellerem Sinne beschäftigen sich Juchtmans Bilder mit dem Begriff der Zeit: Sie sind zeitgemäss und zeigen eine verspielte, leicht Seite. Die Farben – das Pink, die Gelb- oder Orangetšne – verwischen die Grenzen zwischen kommerziellen, industriellen Design und Kunst, lassen an Gegenstände unseres heutigen alltäglichen Lebens und sogar an die Lackierung eines Sportwagens denken.

Im strengen Sinne würden die Bilder von Jus Juchtmans nicht als monochrom zu bezeichnen sein, denn die vielen verschiedenen Farbschichten, aus denen sie aufgebaut sind, lassen sich deutlich erkennen. Aber die Verbindung zu den Ideen der Monochromie, besonders wie sie von den Minimalisten in den 60ger Jahren formuliert wurde, ist nicht abzustreiten. Juchtmans führt ihre Formulierungen noch weiter, indem er nicht nur den das Kunstwerk umgebenden Raum, sondern auch die Zeit als einen wichtigen und grundlegenden Faktor einführt. Die visuelle Ästhetik ist ein in der Zeit ablaufender Prozess, seine Bilder gemalte Zeit.

© Eugene Tan 2000